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Zweitverwendung personenbezogener Daten in der Forschung: EDSB-Studie zeigt dringenden Handlungsbedarf
Ob Biobank, klinische Studie oder KI-gestützte Gesundheitsforschung: Die Wiederverwendung bereits erhobener personenbezogener Daten für neue wissenschaftliche Fragestellungen – die sogenannte Zweitverarbeitung, Zweitverwendung oder Zweitnutzung – ist aus der modernen Forschung nicht mehr wegzudenken. Sie verspricht Effizienz, Erkenntnisgewinn und gesellschaftlichen Mehrwert. Doch das datenschutzrechtliche Fundament für solche Projekte ist häufig eher unsicher.
Eine umfassende Studie des Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) hat diese Problematik unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse sind ebenso detailliert wie ernüchternd: Uneinheitliche Definitionen, divergierende Rechtsgrundlagen, offene Fragen zum Verhältnis von Forschung und Betroffenenrechten – all das erschwert die Zweitnutzung von Daten erheblich.
Wir fassen die Kernaussagen der Studie zusammen – und zeigen, was Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Auftragsverarbeiter jetzt beachten sollten.
Warum ist die Zweitverarbeitung rechtlich so heikel?
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erkennt die Bedeutung wissenschaftlicher Forschung grundsätzlich an. Sie eröffnet gewisse Spielräume, etwa durch:
- Art. 5 Abs. 1 lit. b) DSGVO: die sogenannte Zweckbindungsregel mit Kompatibilitätsvermutung bei Forschung,
- Art. 9 Abs. 2 lit. j) DSGVO: eine spezielle Erlaubnis für sensible Daten im Forschungszusammenhang,
- Art. 89 DSGVO: Ausnahmeregelungen für Forschung bei gleichzeitiger Sicherstellung von Garantien für Betroffene.
Doch viele dieser Vorschriften sind interpretationsbedürftig oder verweisen auf nationale Gesetze, die sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. In der Praxis herrscht daher Unsicherheit:
- Wann genau liegt „wissenschaftliche Forschung“ im Sinne der DSGVO vor?
- Welche Rechtsgrundlage ist bei der Weiterverarbeitung zulässig?
- Welche Informationspflichten bestehen – und wann greift eine Ausnahme?
- Reicht ein „broad consent“ oder ist eine neue Einwilligung notwendig?
- Welche Rolle spielen Ethikkommissionen oder behördliche Genehmigungen?
Was sagt die EDSB-Studie konkret?
Die Studie stützt sich auf juristische Literatur, nationale Gesetzestexte und Expertenbefragungen aus 18 EU-/EWR-Staaten. Die wichtigsten Erkenntnisse:
- Begriff der „wissenschaftlichen Forschung“ bleibt unklar
Die DSGVO selbst definiert den Begriff nicht. Zwar bietet ErwG 159 S. 2 DSGVO eine weite Auslegung („z. B. technologische Entwicklung, Grundlagen- und angewandte Forschung“), doch diese ist rechtlich unverbindlich.
Nur wenige Länder – etwa Frankreich, Bulgarien, Griechenland und Slowenien – verfügen über eine allgemeine gesetzliche Definition. Andere (z. B. Deutschland, Belgien, Niederlande) arbeiten mit sektoralen Regeln, etwa im Gesundheits- oder Biobankenbereich. Das erschwert grenzüberschreitende Forschung erheblich.
- Unterschiedliche Anforderungen an Rechtsgrundlagen
Die Studie beleuchtet die Rechtsgrundlagen gemäß Art. 6 und Art. 9 DSGVO:
- Einige Staaten (z. B. Deutschland) fordern die Einwilligung selbst für Forschung im Rahmen klinischer Studien – auch wenn die DSGVO und der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) hier zurückhaltender sind.
- Andere Länder (z. B. Finnland, Frankreich) erlauben auch Verarbeitung auf Grundlage von öffentlichem Interesse, sofern geeignete gesetzliche Regelungen bestehen.
- Für sensible Daten nach Art. 9 DSGVO ist oft unklar, ob das tatbestandliche Interesse auch „erheblich“ oder nur „öffentlich“ sein muss (Art. 9 Abs. 2 lit. j) DSGVO spricht bspw. nur von „öffentlichem Interesse“ während Art. 9 Abs. 2 lit. g) DSGVO von einem „erheblichen öffentlichen Interesse“ spricht).
In der Praxis ergibt sich ein „Flickenteppich“ nationaler Regelungen – mit weitreichenden Folgen für die Forschung, etwa wenn ein Projekt mehrere Mitgliedstaaten (oder im Fall von Deutschland mehrere Bundesländer) betrifft.
- „Broad Consent“ als Streitthema
ErwG 33 S. 3 DSGVO erlaubt eine Einwilligung für bestimmte Forschungsbereiche, ohne dass alle Einzelprojekte im Voraus feststehen müssen. Doch:
- Nur wenige Staaten erkennen diesen Ansatz ausdrücklich an.
- Viele nationale Aufsichtsbehörden und Gesetze verlangen eine spezifische, projektbezogene Einwilligung.
- Gerade für biomedizinische Forschung (z. B. Genetik, Biobanken) ist diese Unsicherheit besonders gravierend.
- Transparenz- und Informationspflichten bleiben problematisch
Art. 13 und 14 DSGVO verpflichten zur Information der betroffenen Personen – auch bei sekundärer Datenverarbeitung. Doch:
- In vielen Fällen liegen die Kontaktdaten nicht (mehr) vor, etwa bei historischen Biobank-Proben oder pseudonymisierten Daten.
- Zwar erlaubt Art. 14 Abs. 5 lit. b) DSGVO Ausnahmen bei „unverhältnismäßigem Aufwand“, doch diese Regelung wird in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgelegt.
- In Frankreich und Italien ist teilweise eine vorherige Genehmigung durch die Datenschutzaufsicht notwendig.
- Betroffenenrechte vs. Forschungsausnahme nach Art. 89 DSGVO
Art. 89 DSGVO erlaubt Einschränkungen von Betroffenenrechten (z. B. Auskunft, Löschung), sofern geeignete Garantien bestehen – etwa Pseudonymisierung oder Datentrennung. Die Studie zeigt:
- In vielen Ländern fehlen klare Vorgaben, wann und wie diese Einschränkungen zulässig sind.
- Die Rolle von Ethikkommissionen als datenschutzrechtliches Kontrollorgan ist weitgehend unklar.
- Besonders bei nicht-interventioneller Forschung (z. B. Registerstudien) ist die rechtliche Lage unscharf.
Was empfiehlt die Studie?
Die Autoren fordern ein klares Signal des EDSA und schlagen folgende Maßnahmen vor:
🔹 Verbindliche Leitlinien zur Zweitverwendung personenbezogener Daten in der Forschung
🔹 Harmonisierung nationaler Auslegungen und gesetzlicher Vorgaben
🔹 Förderung von Verhaltensregeln (Art. 40 DSGVO) mit Beteiligung der Forschungspraxis
🔹 Intensivierter Dialog zwischen Aufsichtsbehörden, EU-Institutionen und Forschungsakteuren
🔹 Empirische Begleitforschung zu ethischen Komitees und betroffenen Akzeptanz
Fazit: Datenschutzgerechte Forschung braucht klare Spielregeln
Für Unternehmen, Forschungsinstitute und Auftragnehmer bedeutet das: Wer personenbezogene Daten zu Forschungszwecken (weiter-)verarbeiten will, muss die datenschutzrechtlichen Anforderungen präzise prüfen (ggf. auch der involvierten Bundesländer / Mitgliedstaaten) – unter Berücksichtigung von:
✔️ Projektkontext (primär vs. sekundär)
✔️ Datenkategorien (normale vs. sensible Daten)
✔️ nationaler Gesetzeslage
✔️ Betroffenenrechte & Informationspflichten
✔️ Pseudonymisierungs- und Sicherheitsmaßnahmen
Praxistipp: Eine sorgfältige rechtliche Dokumentation (z. B. zur Kompatibilitätsprüfung, zu Informationswegen oder Auftragsverarbeitung) ist essenziell – nicht nur zur Absicherung, sondern auch zur Transparenz gegenüber Aufsichtsbehörden und Studienteilnehmenden.
Darüber hinaus darf im Einzelfall auch das Verhältnis zu medizinrechtlichen Vorschriften, wie z. B. der sog. Clinical Trial Regulation und ethischen Anforderungen, nicht außer Acht gelassen werden.
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Der kommende EU Digital Services Act – Pflicht zu Melde- und Abhilfeverfahren für Hosting-Dienste
Der vollständige Geltungsbeginn des Digital Services Act (DSA) am 17. Februar 2024 rückt stetig näher. Und mit ihm auch die Verpflichtung zahlreicher Unternehmen. Wichtig: der DSA gilt, anders als oft öffentlich wahrgenommen, nicht nur für die „Großen“. Nachfolgend wird deshalb die Pflicht von Hostingdiensteanbietern vorgestellt, die ein Melde- und Abhilfeverfahren nach dem DSA implementieren müssen.
Wichtige Änderungen des TTDSG durch das deutsche DSA-Umsetzungsgesetz in Sicht
Der (vollständige) Geltungsbeginn des Digital Services Act (DSA), der teilweise auch als „Grundgesetz des Internets“ bezeichnet wird, rückt näher. Erste Vorschriften der europäischen Verordnung gelten bereits jetzt, wozu u. a. die Verpflichtung von Anbietern für Online-Plattformen und -Suchmaschinen zur Nennung ihrer durchschnittlichen monatlichen Nutzeranzahl in der EU gehört. Nähere Informationen zum DSA und dessen Inhalt können auch unserer EU-Digitalgesetzgebungsübersicht entnehmen werden.
Beitragsempfehlung zum UN-Kaufrecht
Aus der aktuellen Ausgabe der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ möchten wir Ihnen den von Prof. Piltz verfassten Beitrag „Neue Entwicklungen im UN-Kaufrecht“ ans Herz legen.
Weiterer Ausbau der Kompetenz im Bereich der Beratung im IT-Sicherheitsrecht
Im Rahmen unserer Beratungsstrategie bauen wir bei Piltz Legal kontinuierlich unsere Kompetenzen im Bereich IT-Sicherheitsrecht aus. Bei der Beratung unserer Mandanten ist es uns wichtig, nicht nur fachspezifisches rechtliches Know How zu liefern, sondern auch die Sprache der IT sprechen zu können.
Erneut Auszeichnung von der WirtschaftsWoche
Wir freuen uns, dass wir erneut durch die WirtschaftsWoche ausgezeichnet wurden.
Längere Speicherdauer für Daten bei Wahrnehmung der Aufgabe der internen Meldestelle durch Syndikusrechtsanwälte
Viele deutsche Unternehmen sind entweder schon jetzt oder spätestens ab Mitte Dezember 2023 dazu verpflichtet, eine interne Meldestelle für Hinweisgeber einzurichten. In einigen Fällen werden die Aufgaben der internen Meldestelle von Mitarbeitern aus der Rechtsabteilung wahrgenommen, die als Syndikusrechtsanwälte zugelassen sind. Geht bei einem solchen Unternehmen eine Hinweismeldung ein, so ist diese von den Syndikusrechtsanwälten der internen Meldestelle zu dokumentieren.